by  Walter O. Ötsch

April 26, 2022

                                                       

Text zu meinem Statement bei der Pressekonferenz des Netzwerks für eine zukunftsfähige Wirtschaftsbildung am 26.4.2022 im Presseklub Concordia in Wien.

Wirtschaftliche Bildung, die geeignet ist, für die großen Fragen der Zukunft einen produktiven Beitrag zu leisten, braucht einen breiten Begriff von Wirtschaft, die Einbeziehung unterschiedlicher Theorien und Sichtweisen und die Berücksichtigung geschichtlicher Zusammenhänge.

1. Ein breiter Begriff von Wirtschaft


Was ist „die Wirtschaft“?

Das verbreitete Sprechen von „der Wirtschaft“ (in der Einzahl) ist in hohem Maße missverständlich und irreführend. Man kann die Wirtschaft als eigenen Bereich definieren, in Abgrenzung zur Gesellschaft, zur Politik usw., aber nicht in der Weise, in der der Begriff „die Wirtschaft“ oft verwendet wird, nämlich (1) dass nur die Sichtweise und Interessen von wirtschaftlich Mächtigen gemeint sind und (2) dass es möglich ist, „objektiv“ über wirtschaftliche Prozesse und Institutionen reden zu können.

  1. Wirtschaften ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der alle betrifft. Wenn „die Wirtschaft“ auf Personen und Personengruppen bezogen wird, dann müssen alle, z.B. in ihrer Rolle als Konsumenten und Konsumentinnen, eingeschlossen werden. Der Spruch „Gehts der Wirtschaft gut, gehts allen gut“ ist abzulehnen, weil er ausschließend ist: mit „der Wirtschaft“ sind hier meist nur die Unternehmer und Unternehmerinnen oder gar nur multinationale Firmen gemeint. Auf diese Weise werden einseitige (auch ideologische und moralische) Standpunkte transportiert.
  2. Theorien und Ansicht über die Wirtschaft können kein „objektives“ Wissen im Sinne der Naturwissenschaft transportieren. Ökonomie als Wissenschaft ist ein Teilbereich der Sozialwissenschaften. In den Sozialwissenschaften gibt es immer unterschiedliche Sichtweisen, siehe unten. Bildung über Wirtschaft hat diesen Tatbestand systematisch zu beachten.

Gibt es „Gesetze der Wirtschaft“?

Im ökonomischen Diskursen ist oft von den „Gesetzen“ der Wirtschaft die Rede, zum Beispiel die „Gesetze des Marktes“, die es zu beachten gilt, damit „wir“ in Österreich „wettbewerbsfähig“ bleiben – woraus dann zwingend bestimmte Maßnahmen für die Wirtschaftspolitik gefordert werden. Eine solche Sichtweise ist zutiefst problematisch.

Eine gute wirtschaftliche Bildung sollte die Institutionen und Regeln, in denen sich Wirtschaften abspielt, und die Kenntnisse über Kennziffern des Wirtschaftens vermitteln: 

  • Zum Beispiel: was wichtige Institutionen sind, z.B. was die Europäische Zentralbank macht, was die Aufgaben des Finanzministers sind, in welcher Weise in Östereich kollektivertragliche Verhandlungen ablaufen,, usw. 
  • Zum Beispiel: wie der wie der Verbraucherpreis und das BIP ermittelt wird, auf welchen methide das beruht und welche Probleme mit diesen Kennziffern verbunden sind.

Was aber abzulehnen ist, sind wirtschaftliche Regeln und Institutionen als starr und unverändlich hinzustellen, indem von „objektiven Regeln“ und von „Sachzwängen“ gesprochen wird, meist in eine Sprache von „wir“, „muss“ und „soll“ gekleidet. Denn damit bleibt verborgen, dass das vielfältige Regelwerk, auf denen Wirtschaft beruht, letztlich immer politisch gemacht und politisch herzustellenist – das gilt für nationale wie internationale Regeln, z.B. in der EU. Bildung, nicht nur über die Wirtschaft.

Jede Bildung soll letztlich ein demokratisches Denken fördern. Bildung in und über Wirtschaft kann diesem Anspruch nur dann nachkommen, wenn die Rolle und die Wichtigkeit der Politik für das Regelwerk der Wirtschaft betont wird. 

Gerade über die drängenden Fragen von Klima und Umwelt ist dieser Standpunkt wichtig.


2. Unterschiedliche Sichtweisen und Theorien


Das bedingt auch, in einer Bildung über die Wirtschaft nicht einseitig Theorien und Sichtweise zu vermitteln, ohne dass die Einseitigkeit selbst zum Thema gemacht wird. Eine Sozialwissenschaft, die keine Naturwissenschaft ist, soll nicht wie eine solche unterrichtet und weitergegeben werden. In den Naturwissenschaften gibt es gesicherte intersubjektiv überprüfbare Erkenntnisse und Wissen, das sich letztlich in Naturgesetzen verkörpert. In den Wirtschaftwissenschaften ist das nicht der Fall – man braucht sich ja nur ansehen, welches Spektrum von Sichtweisen im sogenannten „Nobelpreis“ für die Wirtschaftswissenschaften in den letzten Jahren geehrt wurden. 

Eine aufgeklärte und demokratiefördernde Bildung muss notwendig unterschiedliche Perspektiven und Theorien (Paradigmen) vermitteln bzw. immer miterzählen, dass das offerierte Wissen immer nur eine bestimmte Sichtweise darstellt. Aktuelle Fragen, wie z.B. zu den Grenzen der Staatsschulden, zu den Ursachen und der Bekämpfung der Inflation, zu Fragen einer sozioökonomischen Transformation der Wirtschaft, können sehr unterschiedlich beantwortet werden. Eine zeitgemäße Bildung über die Wirtschaft soll mehrere Standpunkte vermitteln und die Fähigkeit fördern zu einer eigenen Urteilsfähigkeit zu kommen.

Das bedingt auch eine kritische Haltung zu Strukturen der Wirtschaft und zu wirtschaftlichen Phänomenen. Vor allem für Fragen des Klimas oder der Umwelt ist das evident. Die großen Probleme der Umwelt haben auch mit der Art des Wirtschaftens zu tun (wie konsumiert und produziert wird) und mit Strukturen des Wirtschaftssystems selbst. Soll Bildung üner die Wirtschaft das globale Ziel einer Begrenzung der Erwärmung der Atmosphärefördern, dass müssen wirtschaftliche Prozesse aus einer kritischen Distanz betrachtet werden und geprüft werden, welche Strukturen wie und in welcherWeise zu reformieren sind – auch und gerade im Bereich der Finanzmärkte. Unterbleibt dieser kritischer Standpunkt, dann trägt ökonomische Bildung dazu bei, diese Probleme zu verschärfen.


3. Berücksichtigung geschichtlicher Zusammenhänge


All das kann nur unter Vermittlung geschichtlichen Wissens erfolgen. Wirtschaften ist kein geschichtsunabhängiger Vorgang und kann nicht durch ein Wissen vermittelt werden, das die Gültigkeit zeitloser „Gesetze der Wirtschaft“ behauptet. Dabei geht es sowohl um die Geschichte wirtschaftlicher Prozesse als auch die Geschichte, wie darüber in der Wissenschaft reflektiert worden ist.

Eine geschichtliche Darstellung vermag vermitteln, was das jeweils historisch Neue in einer Situation ist, z.B. welche neuen Konstallationen durch die Covid 19-Pandemie oder den Krieg in der Ukraine eingetreten sind, welche wirtschaftspolitischen Optionen sich darausergeben und wie darüber (in aller Unterschiedlichkeit) medial diskutiert wird. 

Ein historisches Wissen über den Wandel der Wirtschaft und ihrer Reflexion kann dazubeitragen, in einer Bildung über die Wirtschaft den Blick nach vorne zu richten, die Fähigkeit zu vermitteln, bestehnde Strukturen als historisch gewachsen zu erkennen, aktuelle Diskursehistorischeinordnen zu können, die Zukunft als offen zu begreifen und die Fähigkeit fördern an dem Zukunftsdiskurs über Wirtschaften teilzunehmen, der angesichts der vielen ökologischen Probleme dringend benötigt wird.

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