by  Walter O. Ötsch

September 14, 2022

                                                     


Umweltkrisen und Theoriegeschichte der Ökonomie

ursprünglich erschienen im Blog Studies4future

Die herkömmliche Theoriegeschichte der Ökonomie handelt vom Fortschritt: Im Wettkampf der Ideen hätten sich – so wird gesagt – die besseren Theorien durchgesetzt. Das Ergebnis sei die heutige Mainstream-Ökonomie, wie sie in den gängigen Lehrbüchern der Mikroökonomie dargestellt und permanent reproduziert wird. Krisen der Umwelt gelten hier als Marktversagen. Schuld seien sog. externe Effekte, also dass etwa Firmen die Umwelt kostenlos zerstören könnten. Richtige Preise (z.B. für die Emission schädlicher Gase) und richtige Märkte (z.B. für Umweltzertifikate) würden dieses Problem beseitigen. Die Antwort dieser Art von Ökonomik liegt also schlicht in der weiteren Ökonomisierung und Vermarktlichung.

Ein solcher Ansatz kann aber nur wenig erklären. Ein einziger Aspekt aus einer umfangreichen Problematik wird herausgepickt. Die meisten Fragen bleiben unbeantwortet. Man erfährt zum Beispiel kaum, warum die Politik seit Jahrzehnten nur zögerlich auf die Krisen der Umwelt reagiert, warum der Kapitalismus auf einer schädlichen Wachstumslogik beruht und warum es auch auf den Umgang und die Einstellung der Menschen zur Umwelt und zur Natur selbst ankommt – und: wie all das historisch entstanden ist und welche Zusammenhänge es mit der Geschichte des Denkens über die Wirtschaft gibt. Und weiters: Welche anderen Möglichkeiten es sowohl für wirtschaftliche Abläufe als auch für Theorien gegeben hat und wie und warum sie in Vergessenheit geraten sind.

Fragen dieser Art überschreiten den üblichen Rahmen einer Theoriegeschichte der Wirtschaft, die nur als Ideengeschichte erzählt wird. Sie verlangt einen Rahmen, den nur eine breite Kulturgeschichte liefern kann, die viele gesellschaftliche Aspekte systematisch miteinander verknüpft. Sie muss z.B. (für Europa) erklären, wie seit dem Mittelalter das Geld in die Gesellschaft eingedrungen ist, wie sich dabei die Lebensorientierung und das Denken der Menschen verändert hat und wie dann (ab dem 16. Jahrhundert) die Natur zunehmend als Maschine aufgefasst wurde, die man beherrschen und für eigene Zwecke ausnutzen kann. Genau in dieser Entwicklung ist nämlich der neuzeitliche Kapitalismus (und mit ihm seine Theorien) entstanden. Er basiert auf einem völlig anderen Bild der Welt als im frühen Mittelalter, in dem es keinen gesellschaftsdurchdringenden Kapitalismus gegeben hat und in dem z.B. der Durchschnittsmensch auf dem Land kaum mit Münzen in Kontakt gekommen ist.

Eine andere wichtige Entwicklung in der Geschichte der Wirtschaftstheorie ging vom industriellen Kapitalismus aus, der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in England entstanden ist. Jetzt (und erst jetzt) wird der Kapitalismus dynamisch und auf ein immerwährendes Wachstum bezogen, das es politisch durchzusetzen gilt. Und ab jetzt steigen die Emissionen, z.B. durch die Verbrennung der Kohle. Und zugleich entstehen neue Wirtschaftstheorien, die diese Vorgänge als „natürlich“ hinstellen und ihr geschichtliches Werden verschleiern – und genau auf diese Weise alternative Ansätze untergraben und verhindern, dass über die Mängel eines kapitalistischen Wirtschaftssystems systematisch nachgedacht wird.

Wieder eine andere Geschichte handelt von neuen Formen der Politik, die ab den 1980er-Jahren zuerst in den USA und in England und später in fast allen Ländern üblich wurden. Die Wirtschaftstheorie begann jetzt (und das war historisch neu) auf „den Markt“ und „die Globalisierung“ zu setzen – einen Vorgang, gegen den die „die Politik“ – so meinte man – nichts unternehmen könne. Dieses Denken von Ökonom:innen hat die „verlorenen Jahrzehnte“ seit den 1980er Jahren, als die Politik kaum für die Umwelt sorgte, zwar nicht verursacht, aber sie hat geholfen, sie möglich zu machen. Diesen Prozess zu verstehen, heißt die Geschichte der Wirtschaftstheorie in ihren Wirkungen auf die Gesellschaft zu begreifen und wichtige Theorien im heutigen Mainstream als Problem und nicht als Lösung zu sehen.

An der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung können Studierende sich diese wichtigen Hintergründe und Zusammenhängen aneignen und kritisch beurteilen. Sie lernen dabei eine neue Geschichte des Denkens über die Wirtschaft, die sie selbst weiterschreiben können.


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