Die ökonomisierte Gesellschaft verstehen

Wenn wir über große Probleme unserer Zeit nachdenken, brauchen wir eine Vorstellung darüber, in welcher Gesellschaft wir überhaupt leben. Mein Bild ist die „ökonomisierte Gesellschaft“. Das bedeutet: in ungemein vielen Bereichen ist ökonomisches Denken, sind betriebswirtschaftliche Kennziffern, Regeln und Anforderungen eingeflossen. Ich frage mich:

Wie haben sich diese Felder verändert und welche neuen Logiken gibt es und welche Ethik hat damit Einzug gehalten?

Darüber spreche ich in diesem kurzen Video (3:30):

Wir leben in einer ökonomisierten Gesellschaft. Als Ökonom und Kulturhistoriker versuche ich diese Gesellschaft zu verstehen.

Meine Überzeugung: Ohne ein solches Verständnis können die vielen gesellschaftlichen Krisen (wie die Krisen der Umwelt) nicht verstanden werden. Die Folge sind Scheinlösungen, die letztlich nichts bringen, und in vielen Fällen die Probleme vertiefen.


Was bedeutet ökonomisierte Gesellschaft?

= eine Gesellschaft, in der in vielen Bereichen

ökonomische Indikatoren und betriebswirtschaftliche Messgrößen wichtig sind.
wirtschaftliche Elemente und unternehmerische Praktiken Geltung haben.
Kontrollsysteme beachtet werden müssen, die Effizienz und Rationalität versprechen.

Beispiele sind die vielen Arbeitsvorgaben (z.B. wieviel Pakete muss ein Auslieferer in einer Stunde zustellen), die auch im öffentlichen Bereich gang und gäbe sind, wie die Kennziffern im Bildungssystem nach der PISA-Studie. Sie bewertet Bildung nach wirtschaftlichen Vorgaben (wie der Schaffung von "Humankapital", das später beruflich verwertet werden kann) und nicht mehr nach dem früheren Bildungsideal (z.B. nach Humboldt).

Viele anderen Beispiele finden sich in Bereichen, wie Freizeit, Gesundheit, Wissenschaft, Medien, Politik, … –

Und: Das gilt in einem globalen Rahmen und ist in in vielen Ländern ähnlich oder gleich.


Seit wann gibt es die ökonomisierte Gesellschaft?

Ungefähr seit den 1980-/1990er-Jahren. Seither sind ökonomische Vorgaben und Kriterien in viele Bereiche eingedrungen und haben dort Regeln und Ethiken ersetzt, die früher eigenständig und nach bereichsspezifischen Logiken und eigenen Ethiken formuliert worden sind.

Stichworte für diesen Prozess waren Privatisierung, Flexibilisierung, Derergulierung. Als Folge davon hat sich auch der Arbeitsdruck in vielen Branchen enorm erhöht und sich eine neue Leistungsidologie verbreitet.

Viele Praktiken und Güter, die einst außerhalb der Marktsphäre lokalisiert waren, wurden dabei in „Produkte“ umgewandelt, die über einen Preis auf einem „Markt“ gehandelt werden können.


Was interessiert mich an diesen Vorgängen am meisten?

Die Rolle, die das ökonomische Denken in diesem Prozess gespielt hat: Welche Theorien haben dazu beigetragen und mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen kann ein Einfluss nachgewiesen werden? Auf welchen Feldern zeigt sich das: im Bereich der ökonomischen Bildung, der Medien, der Politik?

Und wie hat sich dadurch das Regelwerk verändert, mit der die Poiltik wirtschaftliche Vorgänge beeinflusst? Wie hat sich in Folge das Wirtschaftssystem in dieser Zeitspanne verändert? Welche Strukturen und welche Krisen haben sich daraus ergeben? Wleche Reformvorschläge ergebn sich daraus?


Warum ist für die Ökonomisierung das ökonomische Denken wichtig?

Ich gehe von folgender Annahme aus: In einer ökonomisierten Gesellschaft nimmt die Ökonomik die Rolle einer Leitwissenschaft ein. Die Frage ist: Welche Theorien waren und sind in der Lage, die Ökonomisierung der Gesellschaft zu fördern und welche Theorien widersprechen dem?


Und welche Theorien sind das?

Mein Erklärungsansatz: Es sind alle Theorien, in denen ein Konzept "des Marktes" in der Einzahl zu finden ist, in sehr spezifischen Bedeutungen. Wie z.B. wenn gesagt wird, wir müssten uns "dem Markt" unterwerfen, die Politik habe seine "Gesetze" zu beachten oder es sei verständlich, dass Griechenland im Jahre 2010 von "dem Markt" bestraft wurde.


Was ist daran falsch?

In vielen Arbeiten habe ich versucht zu zeigen, wie dieses Denken historisch entstanden ist, mit welcher Absicht es erfunden wurde, auf welchen schwachen theoretischen Annahmen es beruht und wie seine Wirkungen und sein Eindringen in gesellschaftliche Bereiche im Detail nachgewiesen werden können. 

Für mich kann das Denken "des Marktes" wissenschaftlich nicht stichhaltig formuliert werden: Es ist letztlich nur ein Mythos.


Highlights zu Meiner Analyse

Eine umfangreiche Analyse findet sich im Buch Mythos Markt. Mythos Neoklassik. Das Elend des Marktfundamentalismus, das im Januar 2019 im Verlag Metropolis Marburg erschienen ist.   Nähere Infos zum Buch     Infos beim Verlag
Eine Skizze zur Geschichte des deutschen Ordoliberalismus (eine Sonderform einer Theorie "des Marktes") habe ich mit mit Stephan Pühringer und Katrin Hirte 2017 in dem Buch Netzwerke des Marktes. Ordoliberalismus als Politische Ökonomie im Verlag Springer VS Wiesbaden veröffentlicht. Infos beim Verlag
Im August 2021 habe ich mit Nina Horaczek (Journalistin bei der Zeitschrift Der Falter) ein Buch mit dem Titel Wir wollen unsere Zukunft zurück! Eine Streitschrift für mehr Phantasie in der Politik veröffentlicht. In diesem Buch machen wir erstens auf die Krise der politischen Imagination aufmerksam machen, zweitens beschreiben wie, wie das mit einem Denken "des Marktes" zusammenhängt und geben drittens einen Überblick über vielfältige neue Ansätze, mit denen heute positive Bilder über die Zukunft der Gesellschaft formuliert und umgesetzt werden. Erstinformationen