Der geometrische Raum
Spätes Mittelalter und beginnende Neuzeit
Buch 2 in der Serie Kulturgeschichte des Denkens über die Wirtschaft, im 2024 erschienen
[Das Buch zum Blättern online, Literaturanmerkungen als pdf, 26 Seiten, leider noch unvollständig]
Das Buch beschreibt, wie die Menschen im Europa im späten Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit gelernt haben (und lernen mussten), ihren Alltag auf das Geld auszurichten.
In diesen Praktiken musste sich ihr Denken und Wahrnehmen fundamental verändern – ein qualitativer Bruch zu den Denk- und Wahrnehmungsformen im frühen und hohen Mittelalter. Dieser Prozess geht über mehrere Jahrhunderte. Dabei entstehen ein Handelskapitalismus und ein zentralisierter auf den Raum bezogener Staat, der seine Macht in hohem Maße der Verfügung über Geld verdankt.
In Kapitel 1 kommen realgeschichtliche Prozesse der Gelddurchdringung zur Sprache: der Anteil der Kirche, der Wandel im Handel und in Geldgeschäften und das Entstehen neuer Geldformen.
Kapitel 2 zeigt, wie sich die Konzepte von Raum und Zeit, Zahl und Bild verändert haben – auch in Zusammenhang mit den neu entstehenden Kolonialsystemen, die die globale Welt einer brutalen Geldlogik unter- werfen. In diesen Prozessen entsteht ein neuer kollektiver Denk- und Wahrnehmungsraum, der als geometrischer bzw. geometrisch-geistiger Raum bezeichnet wird. Dabei »bauen« sich die Sinne in ihrer Wirkungsweise »um«. Im Vergleich zum berührenden Raum des frühen und hohen Mittelalters »funktionieren« sie abstrakter, »entsinnlichter« und reflexiver.
Kapitel 3 erkundet, wie diese real-, denk- und mentalgeschichtlichen Entwicklungen in der Wirtschaftstheorie bzw. in Wirtschaftslehren reflektiert wurden: Wie Geld, Preis und Zins neu verstanden werden und in welchen Zusammenhängen ein neues Konzept einer Wirtschaftslehre entsteht, die sich den Namen »Politische Ökonomie« gibt.
Ausblick (am Schluss)
Der geistig-geometrische Raum umfasst eine Vielzahl sozialer Prozesse mit ihren Denk- und Wahrnehmungsformen. Sie werden im 17. Jahrhundert durch das Bild der Welt als einer Maschine prinzipiell zusammengefasst und ersetzt. Das moderne Konzept einer von Menschen unabhängigen Außenwelt entsteht gemeinsam mit dem Kapitalismus.
KAPITALISMUS UND NEUZEITLICHE AUSSENWELT
»Mit dem Aufstieg des Kapitalismus begann das Geld praktisch alle ökonomischen Transaktionen zu vermitteln – Pachtzahlungen, Ernteverkäufe, den Erwerb von Konsum- und Investitionsgütern, Anleihen und Kredite, Lohnzahlungen. Die Maßstäbe des Marktes durchdringen die Transaktionen des Alltags. Geld be- stimmt, wer Land und Nahrung bekommt und wer enteignet wird. Damit einher geht die Kolonisierung des Lebens durch die ab- strakten Mengengrößen von Waren und Preisen. Zudem restruk- turiert eine solche sozioökonomische Ordnung aber auch den Horizont erlebter Erfahrungen; letztere werden durch die gesell- schaftliche Physik abstrakten Raums und abstrakter Zeit neu kalibriert. Ein Geograf hat dies als den ›Sieg der Entköperlichung‹ bezeichnet, da der Körper nicht länger das räumliche und zeitliche Maß vorgibt. Stattdessen wird der Körper nun der Phänomenologie des Geldes und des Marktes unterworfen und in mathematischen Kategorien von Raum und Zeit neu definiert. [...] In fundamentalster Hinsicht ist die Monetarisierung also ein Sieg des Abstrakten über das Konkrete.« (McNally 2023, 148, der Ausspruch von der „Entkörperlichung“ ist aus Derek 1994, 392 entnommen).
Der im Zitat beschriebene Trend findet im geistig-geometrischen Raum in vielen Prozessen seine Entsprechung. Die Verwendung des Geldes und die Verbreitung kapitalistischer Praktiken im Alltag verändern, wie die Welt und die Natur erfahren und wahrgenommen wird. Diese Vorgänge werden in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts (insbesondere durch den französischen Philosophen René Descartes) in einem umfassenden Neuentwurf der Welt zusammengefasst: Es entsteht das Weltbild der Neuzeit bzw. der entgrenzte Raum. Es stellt die Natur in eine von Menschen unabhängige Außenwelt und beschreibt die Welt in ihrer Funktionsweise als eine riesige Maschine, konkret als Uhrwerk.
Das Bild von der Welt als Maschine wird ab dem 17. Jahrhundert von politischen Eliten übernommen. Es etabliert sich als ein offizielles Bild, das im Alltag immer noch mit vielen anderen Bildern konkurriert und mit ihnen eigene Synthesen eingeht. Im entgrenzten Raum entsteht ab dem 18. Jahrhundert erstmals eine Theorie der Wirtschaft.
Diese Theorie wird bis heute (in ihrem mainstream) in immer neuen Varianten eines Bildes von der Wirtschaft als einer Maschine erzählt.
Davon ist im nächsten Buch die Rede.
[Band 3 wird 2025 erscheinen.]