Wie erleben Studierende der Volkswirtschaftlehre das Grundlagenstudium? Wie denken sie darüber, wenn sie untereinander darüber diskutieren? Die vier Hauptergebnisse aus einem Forschungsprojekt.
Die bei Springer VS erschienene Studie „Wirtschaft(lich) studieren. Erfahrungsräume von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften“, verfasst von Lukas Bäuerle, Stephan Pühringer und Walter Ötsch basiert auf einem zweijährigen Forschungsprojekt, das von 2016-2018 an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung durchgeführt und vom Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung gefördert wurde.
Im Zuge der empirischen Erhebung wurden 16 Gruppendiskussionen mit VWL-Studierenden an fünf der wichtigsten Studienstandorte im deutschsprachigen Raum durchgeführt (Frankfurt a.M., Mannheim, Köln, Wien, Linz). Das erhobene Material wurde mithilfe der Dokumentarischen Methode, ein etablierter Ansatz der qualitativen Sozialforschung, ausgewertet.
Hintergrund zu dieser Studie
Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart befindet sich zwölf Jahre nach Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise nach wie vor in einer tiefgreifenden Legitimationskrise. Wenngleich die damaligen Ereignisse keinen Paradigmenwechsel mit sich brachten, so waren sie wenigstens Anstoß für eine grundlegende und kritische Auseinandersetzung mit den Wirtschaftswissenschaften als sozialem Feld. Neben der Forschung gerieten dabei insbesondere – katalysiert durch eine globale studentische Reformbewegung – die ökonomischen Ausbildungsprogramme ins Zentrum des Interesses, insbesondere auch im deutschsprachigen Raum. Was hierzulande bislang fehlte, war jedoch eine offene Erhebung der studentischen Wahrnehmung eines Studiums der Volkswirtschaftslehre. Diese Forschungslücke konnte nun geschlossen werden.
Die 4 Hauptergebnisse
1. Primat der Studienstrukturen: Studierende der Wirtschaftswissenschaften orientieren sich bei der Bewertung und Realisierung ihres Studiums primär an Formen und Strukturen des Studiengangs (z.B. Prüfungsmodalitäten, Modularisierungen, Wahloptionen etc.) und nur in zweiter Linie an seinen Inhalten. Dieses empirisch sehr stark gesättigte Ergebnis mahnt dazu, die momentan sehr stark auf Inhalte (Methoden, Paradigmen, Disziplinen) fokussierte Diskussion zu erweitern.
2. Dominanz der Mathematik: Die Studierenden sehen es bereits kurz nach Einstieg in das Studium als Normalität oder gar Notwendigkeit an, dass in der Volkswirtschaftslehre mathematisch und nicht etwa verbal argumentiert und geforscht wird.
3. Realitätsfernes Studium: Die Studierenden können zumeist keine Bezüge zwischen ihrem Studium und ihrer realen Erfahrungswelt herstellen. Dies wiegt umso schwerer, weil ihre vielfältigen Motivationen in der Regel in solchen Erfahrungsbezügen wurzeln und auch in sie münden sollten. Die Studienmotivationen zielen auf Grundlage der interviewten Gruppen Wirtschaft darauf, Wirtschaft entweder verstehen, gestalten und/oder verantworten zu lernen.
4. Tunnelerfahrung versus Wahlfreiheit: Das Curriculum wird häufig als zweigeteilt wahrgenommen. Einer rigiden, methodenlastigen und fremdbestimmten Einführungsphase von 3-4 Semestern steht unverbunden eine von Wahlfreiheiten geprägte anschließende Studienphase gegenüber. Die erste Studienphase wird dabei durchwegs kritisiert, auch von jeden Studierenden, die das Studium prinzipiell verteidigen. Dieser Befund stimmt umso bedenklicher, als dass es gerade die ökonomischen Grundlagenveranstaltungen sind, die weit über die volkswirtschaftlichen Fachgrenzen hinaus von ca. 23% aller an deutschen Hochschulen Immatrikulierten belegt werden müssen
Die Monographie bietet dann für jedes der vier Ergebnisse theoretische Deutungsangebote, die sich von der Ökonomisierungsforschung, über die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften und die Sozialpsychologie bis in die Ethnologie erstrecken. Zusammengenommen bietet die Studie damit erste Bausteine einer interdisziplinären Theorie gegenwärtiger ökonomischer Bildung.