Abschied von Keith Johnstone: welch wunderbarer Mensch!
Vor einigen Tagen ist Keith Johnstone im Alter von 90 Jahren gestorben. Er war Schauspiellehrer und gilt als der Begründer des Improvisationstheaters: eine Form des Theaters, bei der spontan, zum Beispiel auf Zuruf hin, eine Szene gespielt wirtd. Was spontan aussieht, hat aber Methode und kann aber geübt werden – und dazu hat Keith Johnstone Wesentliches beigetragen.
Im Training von Schauspielern hat er eine interessante Entdeckung gemacht: Wenn er seinen Schülerinnen und Schülern den Auftrag gab, auf der Bühne einander zu dominieren oder sich unterzuordnen, wurde ihr Spiel ungemein echt und lebensnah. Diese Erkenntnis hat Johnstone perfektioniert und lange Zeit unterrichtet. Zwei seiner Bücher wurden ins Deutsche übersetzt: Improvisation und Theater (1993) und Theaterspiele. Spontaneität, Improvisation und Theatersport ( 2002).
Auf Keith Johnstone bin ich Anfang des Jahrtausends gestoßen. Ich weiß noch gut, was ich bei der Lektüre seines Buches von 1993 gedacht habe: „Endlich wieder einmal eine neuer Gedanke im Bereich der Kommunikation“. Diese Person wollte ich kennenlernen: 2002 war ich bei ihm bei einem Seminar in der Nähe von Augsburg.
Keith Johnstone war einer der besten und humorvollsten Trainer, die ich kennengelernt habe. Er war direkt und immer respektvoll. Ihm zuzusehen war eine Freude. Im Habitus eines britischen Gentlemans erteilte er trocken die skurillsten Aufträge, wie einander zu verführen oder einen Mordauftrag zu geben. Nach einer Schrecksekunde wurde das dann versucht: Theaterspielen konnte Spaß machen. Für mich war das vollkommen neu. Inmitten von etablierten und angehenden Schauspieler:innen fühlte ich mich gehemmt und brauchte einen Tag, um warm zu werden. Dann konnte ich mir erlauben, lustvoll mitzumachen. Keith Johnstone hat mich derart begeistert, dass ich zwei Jahre später nochmals bei seinem Seminar mit denselben Inhalten war. Diesmal wollte ich erkunden, wie Keith Johnstone Seminare hält und wie es ihm gelingt, die Teilnehmer:innen derart zu fesseln. Die Aufzeichnungen von damals habe ich noch immer. Jahrelang habe ich seine Inhalte unterrichtet.
Im Jahre 2005 erfuhr ich eher zufällig, dass Hannes Lehner, ein guter Freund (und Professor für Organisation an der Linzer Universität) auch ein Seminar bei Keith Johnstone gemacht hat und zu einem ähnlichen Urteil gekommen war. Hannes hatte dann die Idee, vor dem Hintergrund seines Wissens um die Organisation in Firmen, die Erkenntnisse von Johnstone in einem größerem Kontext darzustellen. Wir haben gemeinsam ein Buch geschrieben: Jenseits der Hierarchie. Der Untertitel hieß Status im beruflichen Alltag aktiv gestalten. Es erschien 2006 und wurde 2015 in einer neuen Version wiederaufgelegt.
Im Vorwort haben wir geschrieben: „Das, was Keith Johnstone für den Bereich des Theaters entwickelt hat, besitzt eine viel weitere und tiefere Bedeutung. Seine Entdeckung muss unserer Meinung nach als ein eigenständiger Beitrag zur Sozialpsychologie gewürdigt werden.“
Die Kernidee von Johnstone ist sein Begriff von Status, wir haben das als Verhaltensstatus übersetzt. Es geht um das aktuelle soziale Gewicht, das eine Person ausübt. Wenn zum Beispiel zwei Personen miteinander reden, dann wird durch jeden Satz, durch jede subtile Geste auch Macht und Einfluss vermittel. Es ist, als ob es zwischen den Menschen eine unsichtbare Waage geben würde, die sekundengenau das soziale Gewicht jeder Person misst. Im nächste Satz kann sich die Waage wieder ändern. In unserem Buch haben wir beschrieben, wie das geschieht.
Und das Improvisationstheater ist für mich zu einer Metapher für das Leben geworden. Egal, was wir tun, wir sind zu wenig vorbereitet. Hätten wir mehr Zeit zur Vorbereitung gehabt, dann könnten wir besser agieren. Das heiß nicht, dass wir uns nicht vorbereiten sollen. Aber egal, wie viel Zeit wir haben, letztlich war es zu wenig. Aber wir müssen dennoch handeln – trotz der Beschränkungen, denen wir nicht entrinnen können. Keith Johnstone hat gelehrt: Spontan zu handeln, kann lustvoll sein. Bei ihm haben wir gelernt, mit guter Laune Fehler zu machen – für mich ein passendes Gegenprogramm gegen den verbreiteten (und von vielen gespielten) Perfektionismus.
Lieber Keith, Du hast die Welt lebenswerter gemacht. Ruhe in Frieden!