"Das Volk", was ist das?
Der Begriff "das Volk" ist zentral für ein Verständnis des Denkens aller rechtspopulistischen und rechtsradikalen Strömungen. Er hat nichts damit zu tun, wie "Volk" im Alltagsgebrauch oder in juristischen Texten wie der Verfassung verwendet wird. Die Besonderheiten des rechtspopulistischen Volksbegriffs ist durch hunderte Analysen in der Forschung erhärtet und nicht umstritten.
In "Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung" (Westend Verlag 2017, 2022 als Taschenbuch) haben Nina Horaczek und ich versucht, diesen Begriff in einer einfachen Sprache zu erklären.
Hier ein Auszug aus dem Beginn des Buches, Seite 13-16:
Das Wichtigste zuerst: Wie simpel Rechtspopulisten denken
Rechtspopulismus ist alles andere als ein Geheimnis. Im Gegenteil: Rechtspopulismus ist leicht zu verstehen. Ganz einfach: Die Politik von Rechtspopulisten beruht auf einem einzigen Grundgedanken, einem selbst gestrickten Bild der Gesellschaft. Dieses Bild ist die Basis des Rechtspopulismus.
So sieht das Bild aus: Hier sind WIR und dort sind die ANDEREN. Diese beiden Gruppen braucht der Rechtspopulismus. Sonst nichts.
"Das Volk" = "Die Wir"
= das Kunstprodukt einer gleichartigen Bevölkerung, die durch einen gemeinsamen »Volkswillen« verbunden ist. Demagogie ist politische Verführung mit dem erfundenen Begriff »des Volkes«. Dieses »Volk« sind die WIR, sie stehen den ANDEREN gegenüber, zum Beispiel »der Elite«. Immer, wenn so ein Bild entworfen wird, sprechen wir von Demagogie.
Demagogen aller Schattierungen unterteilen die Menschen in zwei Gruppen: Die »In-Gruppe«, das sind die WIR. Die »Out-Gruppe«, das sind die ANDEREN. Angebote für eine derart simple Botschaft gibt es viele: Deutsche gegen Flüchtlinge, US-Amerikaner gegen Mexikaner, Franzosen gegen Afrikaner, Kroaten gegen Serben, Russen gegen Tschetschenen, und überhaupt: Weiße gegen Schwarze, Arier gegen Juden, Inländer gegen Ausländer – es gibt unzählige Beispiele für ein Denken, das weltweit Anerkennung genießt und in den letzten Jahren, auch als Reaktion auf ein Versagen traditioneller Politiken, massiv an Bedeutung gewonnen hat.
Das Bild einer zweigeteilten Gesellschaft ist das Wichtigste im Rechtspopulismus. Am besten ist das zu verstehen, wenn Sie sich in ein solches Bild hineinversetzen. Stellen Sie sich möglichst lebhaft vor, Sie stehen gerade auf einer großen leeren Ebene. Hier gibt es nichts außer zwei Gruppen von Menschen. Die eine Gruppe steht nahe bei Ihnen. Diese Gruppe ist hell erleuchtet und gibt Ihnen ein warmes Gefühl. Sie ist wie von einer unsichtbaren Mauer umgeben. Danach kommt ein leeres Feld und hinter diesem steht eine zweite Gruppe. Sie sehen diese Gruppe nur dunkel. Sie spüren ein Gefühl der Verunsicherung und Angst, das sich allmählich in Hass steigert, oder noch besser, Sie empfinden sogar Ekel für die ANDEREN.
Das folgendes Bild ((c) Lucas Derks) soll diese Vorstellung zeigen:
WIR und die ANDEREN
Sich zwei Gruppen vorzustellen und sich einer der beiden Gruppen gedanklich zuzuordnen, ist per se noch nichts Schlechtes. In vielen Fällen ist das durchaus berechtigt. »Wir« und »Andere« sind Alltagsbegriffe, jeder und jede verwendet sie. Um zu wissen, wer wir sind und zu wem wir gehören, benötigen wir Einteilungen: Männer und Frauen, Jung und Alt, eigene Firma oder Konkurrenz.
Das Demagogische ist nicht die Einteilung in zwei Gruppen. Es ist die Intensität und die Ausschließlichkeit. Im vorgestellten Bild zeigt sich dies daran, wie groß die Distanz zwischen den beiden Gruppen ist und wie stark die Unterschiede gemacht werden.
Drei eindeutige Diskurse
Die Einteilung in zwei gleichartige Gruppen bedingt notwendig drei (ineinander verschränkte) Diskurse, die monoton immer wieder ablaufen: einen Moraldiskurs, einen Wahrheitsdiskurs und einen Opfer-Täter-Diskurs.
Fast alles, was Rechtspopulisten und Rechtsradikale sagen, kann dem zugeordnet werden, Ausnahmen finden sich kaum. Im Buch haben wir viele Beispiele aufgeführt.
Eine eindeutige Moral
Die Anderen sind immer und ausschließlich böse, die Wir immer und ausschließlich gut. Am schlimmsten sind die "Gutmenschen", eine Untergruppe der Anderen: Das sind Menschen, die nur so tun, als ob sie gut wären. Sie reden moralisch, verfolgen aber insgeheim ganz andere (nämlich böse) Absichten.
Eine eindeutige Wahrheit
Die Anderen reden immer falsch und verbreiten Fake News. Die Wahrheit steht auf Seite der Wir. Wir reden immer die Wahrheit, Wir sind ehrlich und aufrichtig. Selbst Expert:innen darf man nicht trauen. Manchmal, wie z.B. in Klimafragen (so die FPÖ) stehen "Experten" auf der Seite "der Anderen". Das sind dann "sogenannnten Experten", die es zu entlarven gilt. Dass sie sich auf Wissenschaft berufen (wie z.B. in Fragen einer Impfung für Virenkrankheiten), hat nichts zu bedeuten. Sie sind gekauft oder Teil einer Verschwörung.
Eine eindeutige Opfer-Täter-Zuordnung
Die Anderen sind die Täter und die Sündenböcke für alles Üble in der Gesellschaft. Die Wir sind ihre Opfer und die wahren Opfer. Wir haben Angst vor Denen. Alles, was wir tun, geschieht aus Notwehr, dafür tragen die Wir keine Verantwortung. Denn die Wir sind niemals aggressiv. Unsere "aggressive" Sprache bringt die Dinge auf den Punkt, die Wir müssen sich ja wehren. Aggressiv sind ausschließlich die Anderen.
Erläuterung zum Volksbegriff
Ein derartiger Begriff von "Wir" bzw. von "dem VOLK" unterscheidet sich klar von dem Begriff "Volk", wie er z.B. in vielen Verfassungen verwendet wird. In der österreichischen Verfassung heißt es zu Beginn: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Damit ist das Staatsvolk gemeint, die Staatsbürger:innen.
Das Volk in der Verfassung spricht eine Bevölkerung mit vielen unterschiedlichen Meinungen, Willen … an. Nirgendwo ist die Vorstellung zu finden, ein solches Volk sei gleichartig (homogen) und würde einen einzigen "Volkswillen" besitzen, der durch eine einzige Person (einen "Volkskanzler") repräsentiert werden kann.
Das nachfolgende Bild soll diese zwei Volksbegriffe illustrieren. Links das bunte Volk, rechts die Fiktion eines gleichartigen Volkes.
Links steht die liberal-demokratische Vorstellung. Im Begriff Volk sind alle Staatsbürger:innen eingeschlossen. Alle besitzen gleiche Rechte, z.B. Menschen- oder Bürgerrechte. Die Menschenrechte sind in diesem Konzept unverrückbar. Die Politik hat sich dem Recht zu unterwerfen und ihm zu folgen. Es gilt die Gewaltenteilung. Der Verfassungsgerichtshof agiert autonom, ist unabhängig von Parteien und schützt die Rechte aller.
Rechts steht illiberale-demagogische Vorstellung. Im Begriff Volk sind nur die "Wir" eingeschlossen. Alle anderen (= "die Anderen" = das ist die Mehrheit der Bevölkerung!) sind von diesem "Volk" ausgeschlossen. Die Ausgeschlossenen besitzen keine Rechte. Man will ihnen z.B. die Menschenrechte verweigern bzw. sie abschaffen. Das Recht hat hier der Politik zu folgen, wie das Herbert Kickl einmal formuliert hat. Die Gewaltenteilung muss aufgehoben werden. Der Verfassungsgerichtshof verliert seine Autonomie und wird durch die eigenen Leute besetzt, wie das Victor Orbán und Donald Trump gemacht haben. Früher bestehende Rechte werden durch den Verfassungsgerichtshof nicht mehr geschützt.
Der Volksbegriff links ist ein einschließender Begriff. Er will und fördert Integration und schützt die Demokratie.
Der Volksbegriff rechts ist ein ausschließender Begriff. Er will und fördert Spaltung und baut die Demokratie ab.