Die 50 Basissätze des Marktfundamentalismus nach Ötsch (2019) bei Milton Friedman
Auszug aus einer Hausarbeit von Jeremias Kostial, Student im Bachelor Ökonomie mit Schwerpunkt soziale Verantwortung an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung Koblenz. Publiziert mit Erlaubnis von Jeremias Kostial.
Walter Ötsch hat mit Mythos Markt. Mythos Neoklassik eine umfassende Analyse von Mises’ Marktbegriff vorgelegt, u.a. um damit eine Klärung des vielfältigen und ungenauen Begriffes des Neoliberalismus […] vorzunehmen. So sollen „eindeutige Zuordnungen von jeder Theorie und von jeder Person, auch in einzelnen Lebensphasen“ (Ötsch 2019: 11) möglich sein. In dieser Hausarbeit soll zuallererst der Versuch unternommen werden, diese Analyse anzuwenden. Damit lässt sich ihre Praktikabilität prüfen und weitere Anwendungsbereiche abstecken. Auch soll eine Grundlage für weiterführende Gedanken über alternative, neue Narrative geschaffen werden. Dafür wird der dokumentarische Teil der ersten Folge The Power oft the Market (Massey & Friedman 1980) der Serie Free to Choose (Chitester et al. 1980) untersucht.
Im Folgenden wird kurz die Serie vorgestellt (3.1), danach eine ausführliche Analyse vorgenommen (3.2) um dann ein Fazit zu ziehen (3.3).
3.1. Milton Friedman und Free to Choose
Die ursprüngliche Idee der Fernsehserie geht zurück auf Robert Chitester, der damit auf Milton und Rose Friedman zuging. Erste Gespräche fanden im Januar 1977 statt, drei Jahre später lief die Serie im amerikanischen Fernsehen. Alle Folgen der Serie sind in zwei Teile aufgeteilt: Im ersten Teil erklärt Milton Friedman on Location bestimmte Sachverhalte. Im zweiten Teil findet eine Diskussion mit anderen (und durchaus kontrovers positionierten) Theoretiker:innen in der University of Chicago statt.
Das erklärte Ziel der Serie ist es, einem großen Publikum die Bedeutung einer freien und kompetitiven Wirtschaft für die individuelle Freiheit näherzubringen. Sowohl die Serie als auch das dazugehörige Buch Free to Choose waren, gemessen an Einschaltquoten und verkauften Exemplaren, nationale und später auch internationale Erfolge. Ausgestrahlt wurde die Serie interessanterweise sowohl in den USA als auch Großbritannien auf öffentlichen Sendern (PBS und BBC) – Institutionen, denen Friedman prinzipiell kritisch gegenüberstand. In der Schweiz und Italien half ein Mitglied der Mont Pellerin Society bei der Ausstrahlung der Serie. (vgl. Friedman & Friedman 1998: 471ff, 501). In Netzwerke des Marktes schreiben Ötsch, Pühringer und Hirte (2018), dass „[d]ie Begrifflichkeit von ‚dem Markt‘ [...] heute als eine Selbstverständlichkeit [erscheint], die sowohl in den Medien als auch in vielen Wirtschaftstheorien verwendet wird.“ (ebd.: 70). Inwiefern die Fernsehserie konkret dazu beigetragen hat, müsste gesondert untersucht werden. Im folgenden Teil wird sich aber zeigen, inwiefern die Serie als marktfundamental gesehen werden kann.
3.2 Analyse von „The Power of the Market”
(Link auf Youtube-Video)
Im dokumentarischen Teil der ersten Folge versucht Friedmann den Zuschauer:innen die Kraft oder Macht (im Original: Power) „des Marktes“ zu verdeutlichen. Dafür macht er einen historischen Exkurs in die Zeit der großen Immigration in den USA, besucht China Town in New York sowie eine italienischstämmige Familie. Weiter geht es in Hongkong, wo Friedman ähnliche Verhältnisse vorfindet, wie sie zu Zeiten der großen Immigration in den USA vorzufinden waren. Nach ausführlichen Streifzügen durch die Stadt springt die Handlung nach Glasgow, wo Friedman die Lehren Adam Smiths vorstellt. Danach besucht er erneut die bereits erwähnten Orte, mit anderem Fokus, etwa der Grenze zwischen Hongkong und China, sowie einem Markt in New York. Die gesamte Zeit über werden hauptsächlich Straßenzüge mit vielen Menschen und Kleinunternehmer:innen gezeigt, die Milton Friedman besucht. Regierungsvertreter:innen, Konzerne oder andere gesellschaftliche Akteur:innen sieht man nicht (vgl. Friedman & Massey 1980: 01 - 28).
Im Folgenden wird (in möglichst chronologischer Reihenfolge) untersucht, ob sich die 50 Basissätze des Marktfundamentalismus aus Mythos Markt. Mythos Neoklassik (Ötsch 2019) im dokumentarischen Hauptteil (Minute 1 - 28) der ersten Folge The Power of the Market (Friedmann & Massey 1980) der Fernsehserie Free to Choose (Chitester et al. 1980) bestätigt finden. Zur Strukturierung wurden die Zwischenüberschriften Ötschs übernommen.
3.2.1 „Die zweigeteilte Welt“ (Ötsch 2019: 26): Basissatz 1 - 13
Der erste Basissatz des Marktfundamentalismus zeigt sich in Minute acht: „If you want to see how the free market really works this [Hongkong] is the place to come” (Friedman & Massey, 1980). „Der Markt“ lässt sich also in der wirklichen Welt beobachten. Wie bei Mises auch (vgl. Ötsch 2019: 27) wird der Markt von Friedmann also als Tatsache gesetzt.
Auch für Friedmann bezeichnet „‘Der Markt‘ [...] das Wesentliche des Wirtschaftssystems als Ganzes“.
In Minute drei fasst er die zentralen Eigenschaften der amerikanischen Gesellschaft, die Immigranten vorfinden mit einem „freien Markt“ zusammen (vgl. Friedman & Massey 1980).
In Minute elf sagt Friedmann: „The free market enables people to go into any industry that they want; to trade with whomever they want; to buy in the cheapest market around the world; to sell in the dearest around the world” (ebd.: 11).
Der zweite Teil des dritten Basissatzes lässt sich damit hinreichend belegen. Ob sich dabei um eine unzerlegbare Einheit oder eine andere Form der direkten Verbindung handelt, ist nicht klar.
Der vierte Basissatz kann bereits zu Beginn der Folge gezeigt werden.
Genauso, dass „der Markt“ bei Friedmann, wie bei Mises auch, keine klare Grenze zu anderen Teilen der Gesellschaft hat (vgl. Ötsch 2019: 28), wodurch sich der fünfte Basissatz ausdrückt.
Wie im Zusammenhang mit dem zweiten Basissatz schon angedeutet, stellt Friedmann dar, mit welchen Motivationen Immigranten auf den amerikanischen Kontinent kamen und welche Bedingungen sie dort vorfanden. Die dabei beschriebenen, vielfältigen Bedingungen, „[...] a very hard life [...] many rewards for hard work [...] enterprise and ability [...] few rules and regulations [...]“ (Friedmann & Massey 1980: 02f) scheinen für Friedmann einmal die nennenswerten, also wesentlichen, Bedingungen zu sein und zum anderen zusammenzugehören. Die Zusammenfassung der vielfältigen Bedingungen im folgenden Satz: „They found in fact, a free market“ (ebd.: 03) zeigt: „Der Markt“ beschreibt das Wirtschaftssystem als Ganzes (vierter Basissatz) als auch die Gesellschaftsordnung (fünfter Basissatz).
Der sechste, siebte und achte Basissatz findet sich jeweils in „The Power of the Market“ durch die Abwesenheit von Begriffen über Markt und Staat hinaus wieder: Friedmann postuliert, dass es eine Mehrzahl an Systemen gibt, die sich an ihrem Grad der Freiheit unterscheiden (vgl. ebd.: 22.).
Kurz danach spannt er indirekt einen Antagonismus zwischen “Markt” und “nicht-Markt” auf, als Erklärung für den Wohlstand der Arbeiter*innen in Hongkong: „It is not government or trade union, these workers do well because there is competition for their labor and skills.“ Außerdem: „there are two things he [a businessman] can do. He can turn to the government for a tariff or quota or some other restriction on competition, or he can adjust and adapt” (Friedman & Massey 1980: 23, eigene Hervorhebung).
Es scheint also nur zwei Möglichkeiten - „Markt“ und „Nicht-Markt“- zu geben. Auch scheint keine weitere Komplexität in Analyse und Erklärung vorhanden oder notwendig.
Hier zeigt sich auch die „logische Negation“ (Ötsch 2019: 31) von „Markt“ und „Nicht-Markt“ des neunten Basissatzes. Wie bei Mises (vgl. ebd.: 32) ist der „Nicht-Markt“ dabei gekennzeichnet von Eingriffen „...a tariff or quota or some other restriction on competition“ (Friedmann & Massey 1980: 23), der „Markt“, als logischer Gegensatz dazu, von ihrer Abwesenheit: „There were no licenses, no permits, no red tape to restrict them.” (ebd.: 03).
Eng damit verknüpft ist auch die normative Zuschreibung der Begriffe Freiheit und Unfreiheit des zehnten Basissatzes. Diese normative Zuschreibung vom „Markt“ als „Hort ‚der Freiheit‘“ (Ötsch 2019: 32) zieht sich durch die gesamte Folge und zeigt sich zuallererst an der Bezeichnung „free Market“ (vgl. Friedmann & Massey 1980: 03, 05, 08 und weitere). Darüber hinaus wird „economic freedom“ in engen Zusammenhang mit „personal freedom“ (vgl. ebd.: 07ff) gestellt. Um diesen Zusammenhang zu untersuchen, begibt sich Friedmann nach Hongkong (vgl. ebd.). Diese Stadt hätte ihre Dynamik und ihr Wachstum dem „freiesten Markt der Welt“ zu verdanken (vgl. ebd.: 11, eigene Übersetzung). Das direkt angrenzende „Communist China“ (ebd.: 24) bildet einen Gegenpol, der von ökonomischer (und damit auch persönlicher) Unfreiheit geprägt sei (vgl. ebd.: 19).
Da der elfte Basissatz als Schlussfolgerung der vorhergehenden hergeleitet wird (vgl Ötsch 2019: 32) kann davon ausgegangen werden, dass auch Friedmann „Markt“ und „Nicht-Markt“ homogen konzipiert.
Der zwölfte Basissatz des Marktfundamentalismus zeigt sich bei Friedmann sowohl implizit, als er erklärt, dass die Produzenten vom Markt durch Preise erfahren, was und wie sie etwas produzieren sollten (Friedmann & Massey 1980: 13), als auch explizit, wenn Friedmann Adam Smith‘ „basic principles underlying the free market“ (ebd.: 15) anhand eines Bleistifts und der globalen) Arbeitsteilung erklärt (ebd.: 15f). Das Zustandekommen dieser Arbeitsteilung erklärt Friedmann mit der „Magie des Preissystems“ (ebd.: 17, eigene Übersetzung).
Der 13. Basissatz wird in Minute 25 deutlich, da Friedmann hier zwar Chaos in Hongkong sieht. Dieses sei jedoch hochgradig durch die „Kräfte des Marktes“ organisiert (vgl. ebd.).
3.2.2 „Der Binäre Code ‚des Marktes‘“ (Ötsch 2019: 35): Basissätze 14 - 19
Die Basissätze unter „Der Binäre Code des Marktes“ lassen sich weitestgehend anhand der vorhergegangenen Textstellen zeigen. Der binäre Code (Basissatz 14) an den Stellen des neunten und zehnten Basissatzes (siehe oben).
Genauso die „antagonistischen Kräfte“ (vgl. Ötsch 2019: 36) „des Marktes“ und des „Nicht-Marktes“ (Basissatz15), wie auch Basissatz 16: Friedmann verknüpft “den Markt” mit Freiheit (also dem Guten) und kontrastiert diesen mit „communist China“ (Friedmann & Massey 1980: 24) (also dem Bösen).
Friedmann nutzt das Wort Gleichgewicht nicht (Basissatz 17) macht jedoch deutlich, dass die Marktpreise die Produzenten zu den richtigen Entscheidungen führt (vgl. ebd.: 13) und so auch zu den effizienten Resultaten des 19. Basissatzes führt (vgl. ebd.: 17).
Für Basissatz 19 lassen sich keine expliziten Nachweise finden. Hier lässt die Polysemie des Marktes (vgl. Ötsch 2019: 39) Raum für Interpretation, wie auch anhand der nächsten Basissätze deutlich wird.
3.2.3 „Die Polysemie ‚des Marktes‘ (Ötsch 2019: 39): Basissätze 20 - 30
„Der Markt“ stellt für Friedmann zum einen ein „reales Phänomen“ (vgl. 1. Basissatz) dar, dass sich in der Realität beobachten lässt (vgl. Friedman & Massey : 03) und z.B. mit „Kräften“ (vgl. ebd.: 25, 13. Basissatz) ausgestattet ist. Gleichzeitig beschreibt „der Markt“ eine „Magie“ (vgl. ebd.: 17) des Preissystems, die „Wunder“ (vgl. ebd.: 12) hervorbringt. „Der Markt“ besitzt bei Friedmann also „mehrere [,] durchaus widersprüchliche Bedeutungen“ (vgl. Ötsch 2019: 39) (Basissatz 20).
Wie bei Mises muss (ebd.) auch „der Markt“ bei Friedmann als eine „Annahme“ (vgl. Ötsch 2019: 40) (Basissatz 21) verstanden werden: Zwar besucht Friedmann sowohl New York als auch Hongkong (und in weiteren Folgen andere Orte) und zieht die Geschichte (vgl. Friedmann & Massey 1980: 01ff ) heran, um „den Markt“ in der Realität zu präsentieren, gleichzeitig erklärt er „den Markt“ doch als ein abstraktes Subjekt, dem ein (magisches) Preissystem (siehe oben) unterliegt.
Erneut zeigen sich die Parallelen zu Mises: Einerseits wird „der Markt“ „deskriptiv-realistisch“ (vgl. Ötsch 2019: 40), siehe oben, als auch „normativ“ (vgl. ebd.) verwendet: Die Aufgabe des Staates beschränke sich darauf „ [to make] sure that laws are enforced and contracts are honored“ ( Friedmann & Massey 1980: 24). Noch wichtiger sei jedoch, keine wirtschaftlichen Vorgaben zu machen (vgl. ebd.). Somit ist auch Basissatz 22 bestätigt.
Sowohl Basisatz 23 als auch 24 zeigt sich in der Themenauswahl Friedmans (wie oben bereits beschrieben): „Der Markt“ war sowohl in den frühen Jahren der USA gegeben als auch im aktuellen (in Bezug auf die Serie) Hongkong. „Der Markt“ und die „Magie“ des Preissystems müssten nur freigesetzt werden, dann gäbe es auch mehr „Harmonie und Frieden“ unter den Menschen der Welt (vgl. Friedmann & Massey 1980: 17).
Historische oder kulturelle Unterschiede scheinen keine Bedeutung zu haben, die Möglichkeit „des Marktes“ scheint immer gegeben zu sein. Dies deutet auch darauf hin, dass Friedmann den Markt als Utopie (Basissatz 25) verwendet.
Die Basissätze 26, 27 und 28 gehen aus den oben beschriebenen Inhalten hervor.
Basissatz 29 geht aus der Abwesenheit der Beschreibung operativer und institutioneller Gegebenheiten des Marktes hervor.
Dass die Politik „dem Markt“ zu dienen hat (vgl. Ötsch 2019: 44) wird wie auch der 22. Basissatz (siehe oben) in Minute 24 deutlich (vgl. Friedmann & Massey 1980).
3.2.4 „Der Mensch ‚des Marktes‘“ (Ötsch 2019: 47): Basisätze 31 - 45
Die Totalität des Marktes bezieht sich auf verschiedene Bereiche, z.B., wie oben bereits beschrieben, geografisch, aber auch in Bezug auf die Natur, oder soziale und gesellschaftliche Aspekte (vgl. Ötsch 2019: 47). Auch die beiden letzten Bereiche finden sich auch bei Friedmann (einen konkreten Verweis auf die Natur gibt es jedoch nicht). So wird in Minute 13f eine medizinische Behandlung auf ihren Aspekt der „freiwilligen Transaktion“ (die zum Bereich „des Marktes“ gehört) beschrieben (vgl. Friedmann & Massey 1980).
Auch die Preisbildung wird bei Friedmann (vgl. ebd.: 25ff.) in starker Ähnlichkeit zu Mises als „Prozess der Ordnung der Produktion und der Zuweisung der Produkte an die Verbraucher“ (Mises 1940: 299) beschrieben. Dies deutet auch auf die Basissätze 32, 33 und 34 hin.
Es werden aber keine sozialen Beziehungen jenseits einer Kernfamilie, wie etwa Nachbarschaftsbeziehungen, gezeigt.
Auch der bereits beschriebene reine Fokus auf „den Markt“ in Bezug darauf, was die Immigranten in Amerika erwartete. In diesem Zusammenhang erwähnt Friedmann aber durchaus auch „Bekannte und Verwandte“ (vgl. Friedmann & Massey 1980: 03), die beim Ankommen halfen. Auch das Porträt der Visalli Familie (vgl. ebd.: 06f.), zeigt ein Familienbild, dass durchaus geprägt ist von „sozialen Eigenschaften und Orientierungen wie Solidarität, Mitgefühl, Verpflichtungen, Rollen...“, (vgl. Ötsch 2019: 44f.) die nach Ötsch im Widerspruch zu einem „Markt-Menschen“ stünden (vgl. ebd.)
Auch der Begriff der „Gesellschaft“ findet sich bei Friedmann mehrfach, (vgl. Friedmann & Massey 1980: 19, 23, 27, 28 ). Es lässt sich darin aber kein „sozialer Raum in genuinem Sinn“ (Ötsch 2019: 48) finden, sondern nur ein Überbegriff für die Gesellschaft als Ganzes, die, aufgrund der vorangegangenen Erläuterungen zum 5. Basissatz, als Marktgesellschaft verstanden werden kann.
Aufgrund der oben Beschriebenen sozialen Beziehungen (Familie, Freunde und Bekannte) kann der Basissatz 35 bei Friedmann nicht bestätigt werden.
Der Mensch kann jedoch in Abhängigkeit „vom Markt“ als isoliertes Individuum gesehen werden, das „vom Markt“ koordiniert wird, der dabei „wie ein Subjekt“ agiert (vgl. Ötsch 2019: 50). Dies zeigt sich an vielen Stellen, etwa wenn „der Markt“ „Möglichkeiten zur Verfügung stellt“ (vgl. Friedmann & Massey 1980: 5, eig. Übersetzung). Oder Arbeitenden die Freiheit und die Wahl gibt, jederzeit ihren Job zu wechseln und dabei festlegt, was sie verdienen (vgl. ebd: 10). Er (im Original it) sagt Produzenten auch, was sie produzieren sollen (vgl. ebd.: 13).
Auf die Basissätze 38 und 39 lässt sich einmal durch die Abwesenheit von Gruppen-, Klassen- oder Institutionsbeschreibungen schließen. Stattdessen wird allen Menschen (unabhängig von ihrem Einkommen oder Vermögen) insgesamt „im Markt“ Freiheit postuliert, z.B. in Minute 20, nach einer Beschreibung und bildlichen Darstellung der Armut, die mit „But the people are free“ (ebd.: 20) abgeschlossen wird (vgl.ebd.).
Auch findet sich bei Friedmann „im Markt“ kein Machtbegriff, sind doch alle Transaktionen freiwillig, wie dies im bereits erwähnten Beispiel der medizinischen Behandlung attestiert wird (vgl. ebd.: 13). Machtausübung kommt bei Friedmann nur vom „Nicht-Markt“ in Form von Zwang (vgl. ebd.: 17, 23) oder vom „freien Markt“ als Ganzes (vgl. ebd.: 8).
Die Basissätze 41 und 42 zeigen sich in Friedmanns offensichtlichen Annahmen, dass sowohl Menschen aus einem kommunistischen Land wie China (vgl. ebd.: 18f), oder die Einwanderer aus verschiedenen Ländern und Kulturen Europas (vgl. ebd. 1ff), „den Markt“ als Ziel hätten und dort sofort alle Freiheiten in Anspruch nehmen könnten.
Zum Abschluss legt Friedmann den Zuschauer:innen indirekt nahe, dass es sich „beim Markt“ um ein natürliches Phänomen handle: Die „freie Gesellschaft“ beruhe auf „freier Kooperation“, von der der ökonomische „Markt“ ein Beispiel sei, ein weiteres Beispiel sei die menschliche Sprache (vgl. ebd.: 27f). Friedmann stellt also die menschliche Sprache und „den Markt“ in Bezug auf ihre fundamentale Funktionsweise auf eine Ebene. Diese Bezugsetzung auf Natur fasst Ötsch (2019) wie folgt zusammen „Diese Rhetorik dient dazu eine Art letztes Fundament für die Existenz „des Marktes“ zu formulieren, er bekommt so eine ultimative (ontologische) Evidenz.“ (vgl. ebd.: 53).
Den Begriff des „Unternehmers“ benutzt Mises in zweifacher Hinsicht: Einmal sei jeder (Markt-)Mensch Unternehmer, da jeder Mensch die gleiche Funktion in Bezug auf den Markt einnehmen müsse (vgl. Mises 1940, S. 246). Zum anderen nutzt Mises auch den allgemeinen Begriff des Unternehmers, die durch ihre Voraussicht in Bezug auf „den Markt“ und mögliche zu erwirtschaftende Profite hervorstechen (vgl. Mises, ebd., 248; zitiert nach Ötsch 2019: 54). Der daraus folgende Basissatz 44 zeigt sich auch bei Friedmann: Zum einen spricht er von Unternehmern („businessman“) in der allgemeinen Verwendung (vgl. Friedmann & Massey 1980: 22f.), gleichzeitig interagieren alle Menschen durch Preissignale auf „dem Markt“ (vgl. ebd.: 25).
Prinzipiell werden dem Unternehmer zwei Handlungsoptionen unterstellt, wenn er sich Schwierigkeiten gegenübersieht: Den Staat um Hilfe bitten, oder sich anzupassen (vgl. Minute 22f.). Es lässt sich also unterstellen, dass Menschen sich in marktnah und marktfern einteilen lassen (vgl. Ötsch: 55). Es werden jedoch keine „marktfernen“ Menschen dargestellt.
3.2.5 „Die Wissenschaft ‚des Marktes‘“ (Ötsch 2019: 56): Basissätze 46 - 50
Die Basissätze 46, 47, 48, 49 und 50 lassen sich in „The Power of the Market“ nicht nachweisen, da Friedmann sich, außer im Zusammenhang mit Adam Smith (vgl Friedmann & Massey 1980: 15f), nicht auf wissenschaftliche Theorien bezieht, sondern die beschriebenen und gezeigten Phänomene als Tatsachen erklärt.
3.3 Schlussbetrachtung
Mit der vorliegenden Analyse konnte gezeigt werden, dass sich bereits in den ersten 28 Minuten der ersten Folge der Fernsehserie Free to Choose ein Großteil der 50 Basissätze des Marktfundamentalismus wiederfinden. Damit lässt sich argumentieren, dass die Folge marktfundamental ist. Es wurde auch die Anwendbarkeit der 50 Basissätze gezeigt. Diskutiert werden muss noch, ab wie vielen bestätigten Basissätzen ein Werk als marktfundamental gelten kann.
Es hat sich auch gezeigt, dass für eine einfachere, bzw. schematische Analyse weniger Basissätze notwendig wären. Denn mit 50 zu untersuchenden Aussagen ist die Analyse äußerst detailliert, was dazu führt, dass sich Inhalte in der praktischen Analyse teilweise überschneiden, etwa der zweite und vierte Basissatz. Auch überschneiden sich die Belege der Basissätze 14 -16 mit denen des neunten und zehnten Basissatzes (siehe 3.2.2), genauso gehen die der Basissätze 26 - 28 aus den vorhergegangenen Argumentationen hervor (siehe 3.2.3).
Besonders für eine schnellere Belegbarkeit der Kategorie Marktfundamental im (populär-) wissenschaftlichen Diskurs, wird ein einfacheres (hinsichtlich des Analyseaufwands) Schema oder Tool empfohlen. Wie genau ein solches Schema aussehen könnte, muss aus Platzgründen in einer anderen Arbeit diskutiert werden. Denkbar wäre eine Sortierung vom groben ins feine, die sich zuerst an den Überschriften Ötschs (2019: 26, 35, 47, 56) orientiert und dann eine oder zwei weitere Stufen anbietet, vor der Aufgliederung in 50 einzelne Sätze. Diese ließen sich an einigen, bereits erwähnten Stellen, zusammenfassen, andere Zusammenfassungen müssten noch detailliert ausgearbeitet werden.
Auch für eine konkrete Entwicklung neuer Narrative über Wirtschaft und Märkte ist in dieser Arbeit kein Platz. Es lassen sich jedoch Empfehlungen formulieren. Vor allem sollte darauf geachtet werden, worüber Friedman in der Serie nicht spricht. Zudem sollte die Bildsprache in den Blick genommen werden, um sie mit einer passenden Alternative kontrastieren zu können. Dieser Bedeutung waren sich auch die Produzent:innen der Serie bewusst (vgl. Friedman & Friedman 1998: 481). So wird in der Serie nicht auf große Konzerne (und ihre Macht) oder Markthierarchien eingegangen, die historische Entwicklung von Märkten ausgeblendet und Reproduktionsarbeit sowie die Bedeutung sozialer Beziehungen reduziert. Dargestellt werden „harmlose“ uns aus dem Alltäglichen Leben bekannte Märkte des alltäglichen Bedarfs. Die Darstellung großer Institutionen und preissetzender Akteure, deren materielleDarstellung in Form von großen Gebäuden und Industrieanlagen und ihremenschlicheDarstellung mit Bildern von Anzug tragenden Manager:innen und körperlich gezeichneten Arbeiter:innen, würden ein ganz anderes Bild zeichnen.
I. Literaturverzeichnis
- Chitester, Bob/Michael Latham/Michael Peacock (Produzierende) (1980): Free to Choose, PBS [TV-Serie].
- Friedman, Milton/Graham Massey (Verfassender & Regie): Episode 1, in Chitester, Bob/Michael Latham/Michael Peacock (Produzierende) (1980):Free to Choose, PBS [Episode einer TV-Serie].
- Friedman, Milton/Rose Friedman (1998): Two Lucky People: Memoirs, Amsterdam, Niederlande: Amsterdam University Press.
- Mises, Ludwig von (1940): Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Genf, Schweiz: Editions Union.
- Ötsch, Walter Otto (2019): Mythos Markt. Mythos Neoklassik: Das Elend des Marktfundamentalismus (Kritische Studien zu Markt und Gesellschaft), Marburg, Deutschland: Metropolis.
- Ötsch, Walter Otto/Stephan Pühringer/Katrin Hirte (2017): Netzwerke des Marktes: Ordoliberalismus als Politische Ökonomie, 1. Aufl. 2018, Wiesbaden, Deutschland: Springer VS.